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Interview mit einer Zeitzeugin

Marianne Lied, eine gebürtige Wormserin, erklärte sich freundlicherweise bereit, uns ein Interview zu geben.

Sie wohnte damals in der Ludwigstraße 48, wo sie auch zur Welt gekommen war, zusammen mit ihren Eltern und ihrer Tante Änne, die zugezogen war, da sie die aufgrund der immer schwieriger werdenden Kriegsverhältnisse – Bombenangriffe bei Tag und Nacht – nicht länger allein in ihrem kleinen Haus bleiben konnte. Es bot keinen Schutz.

Hier schildert Marianne Lied nun ihre Erlebnisse und Eindrücke des 2.Weltkriegs.

Was waren damals Ihre ersten Eindrücke, die Sie von Hitler bekamen?

Als Hitler 1933 an die Macht kam, war ich 8 Jahre alt und hatte keinen großen politischen Verstand. Es wurde viel darüber geredet und so wie ich es sah, war Hindenburg an dessen Machtergreifung schuld. Die Gefühle meiner Familie waren eher kritisch. Nicht unbedingt begeistert. Aber es gab schließlich eine große Zahl von Arbeitslosen und nachdem Hitler an die Macht gekommen war, ging es aufwärts. Es wurde eine neue Autobahn von Mannheim nach Frankfurt gebaut, was vielen Arbeitslosen wieder Arbeit gab. Aus heutiger Sicht war das natürlich schon die Vorausplanung für den Krieg, vor allem um Truppen schneller transportieren zu können. Aber damals war die Autobahn eine kleine Sensation. Außerdem wurde sehr bald der Westwall gebaut. Auch das brachte den Baufirmen neue Aufträge und vielen Menschen neue Arbeit.

Mit dem Lastwagengeschäft meines Vaters ging es ebenfalls aufwärts. Die Leute atmeten nun wieder auf, da es Arbeit gab.

Hitler erfand die Parole „Kraft durch Freude“. So konnte man mit wenig Geld z.B. Schiffsreisen machen. Es gab auch den ersten Volkswagen, ein Produkt Hitlers. Man konnte ihn in kleinen Raten zahlen, bekam den Wagen aber erst, wenn alle Raten abbezahlt waren. Als später der Krieg ausbrach, bekamen die Leute keinen Volkswagen mehr, denn er wurde nur noch für den Krieg pro-duziert. Die Leute, die für ihren Wagen gezahlt hatten, finanzierten also indirekt den Krieg – ihr Geld sahen sie nie wieder. Das ganze Finanzierungsmodell war wohl nur ein weiterer hinterlistiger Trick Hitlers. Es wurden auch alle größeren Pkw und die Lkw, die nicht unbedingt gebraucht wurden, für den Krieg eingezogen. Unser Wagen war glücklicherweise zu klein, um zu Wehrmachtzwecken genutzt zu werden. Später wurden auch – allerdings nur mit dem Einverständnis der Eigentümer – eiserne Gartenzäune abmontiert und zum Bau von Munition eingeschmolzen.

Konnten Sie vermuten, dass irgendwann der Krieg ausbrechen würde?

Man konnte es unter anderem durch den Bau des Westwalls an der französischen Grenze schon erahnen. Die Franzosen bauten als Gegengewicht die Maginot-Linie. Und dann ging's auch schon los. Zuerst wurde Polen überfallen und dann Frankreich angegriffen. Die deutschen Soldaten waren am Anfang des Krieges sehr erfolgreich, Frankreich wurde in wenigen Tagen erobert. Aber schon 1940 fielen die ersten Bomben auf Worms. Die Angriffe häuften sich mit der Zeit. Tagsüber kamen anfangs die amerikanischen Tiefflieger, die mit ihren MG auf uns schossen und nachts die englischen Bomber, die ihre Bombenfracht über der Stadt abwarfen. Später warfen die Amerikaner auch tagsüber Bomben auf die Stadt.

Wie verhielt man sich bei einem solchen Angriff?
Wenn man in der Nähe seines Hauses war, rannte man natürlich so schnell wie möglich in den eigenen Keller. Im BDM, dem Bund deutscher Mädchen, dessen Mitgliedschaft für uns Pflicht war, mussten wir mit dem Spaten Panzergräben bei Herrnsheim ausheben, was völlig lächerlich war, da die feindlichen Panzer die Gräben auch umfahren konnten. Auch hier kamen die Tiefflieger und schossen auf uns. Wir sind dann in die Gräben gesprungen oder haben unter einem Baum Deckung gesucht. Viele Mädchen hatten nicht die Nerven und weinten oder schrien.

Wurden auch welche getroffen?

Ja, auch. Aber ich habe es zum Glück nicht miterlebt. Wir sind immer gut davon gekommen.

Während des Krieges war ich als Sekretärin dienstverpflichtet in Osthofen - einem Ort ca. 12 km von Worms entfernt. In dem Betrieb wurden hauptsächlich Elektromotoren für U-Boote und Flakgeschütze hergestellt. Auch da gab es täglich Fliegeralarme, denn tagsüber kamen die Amerikaner und schossen auf uns Zivilisten. Wenn wir draußen waren, gab es für uns nur die Möglichkeit in selbst gegrabene Löcher zu springen.

Als es eines Tages wieder einen Angriff gab und wir abends zum Bahnhof gingen, um nach Worms zurückzufahren, stand dort ein Amerikaner mit seinem Fallschirm unter dem Arm, von zwei deutschen Soldaten bewacht.

Er war abgeschossen worden, war aber unverletzt. Ich sehe noch heute sein Gesicht, er war vielleicht 20 Jahre alt. Wir mussten uns zusammennehmen, um ihn nicht anzuspucken, so schlimm war unser Zorn auf sie, eben weil sie uns beschossen hatten. Im Nachhinein denke ich natürlich daran, was in dem armen Kerl vorgegangen sein muss und was aus ihm wurde. Auch die Heimfahrt von Osthofen wurde immer gefährlicher, da die Züge oft beschossen wurden. In den Decken der Züge konnte man die Einschusslöcher sehen. Manchmal musste der Zug auch halten, wenn die Flieger kamen. Wir sprangen dann raus und suchten Deckung in die Gräben entlang der Bahnstrecke. Ich erinnere mich auch noch an Situationen, als der Bahnhof nach unserer Ankunft in Worms angegriffen wurde und eine riesige Menschenmenge Kopf an Kopf gedrängt in den Bahngleisunterführungen auf das Ende wartete. Doch wir haben es immer gut überstanden und sind dann schnell in der Dunkelheit nach Hause gerannt. Fahrrad und Auto hatte man schließlich nicht. Es war auch kein kurzer Weg vom Bahnhof aus. Vielleicht zwei oder drei Kilometer.

Gab es auch in der Stadt Möglichkeiten in Bunkern Unterschlupf zu finden?

Ja, selbstverständlich. Es waren jedoch keine großen Bunker, sondern öffentliche Luftschutzkeller. Dort ist man so schnell wie möglich reingerannt. Man konnte auch versuchen, in privaten Häusern bei fremden Leuten im Keller Schutz zu finden. Manchmal passierte es aber auch, dass man keinen Unterschlupf fand. Dann suchte man den Himmel ab, um die ausgeklinkten Bomben zu entdecken – so konnte man erkennen, wo sie niedergehen wür-den und ob man außer Gefahr war.

Wie sahen die ausgebauten Keller aus?

Bei jedem Keller, der als Schutzkeller diente, musste ein Fenster vergrößert und mit einer Eisentür versehen wer-den. Zudem wurde ein Durchbruch zum Nachbarkeller gemacht, damit man in den anderen Keller flüchten konn-te, wenn das Haus einstürzt. Jeder Keller musste mit einer feuerfesten Stahltür ausgestattet werden. Es gab nur Stühle zum Sitzen und eine Wanne mit Wasser, um darin Tücher tränken zu können. Die konnte man vor das Gesicht halten, um in der staubigen Luft noch atmen zu können.

Unser Keller war ein alter Gewölbekeller. Der war sehr stabil, aber dennoch wackelte das ganze Haus wenn Bomben fielen. Was auch passieren konnte, war, dass eine Bombe, oder noch schlimmer eine Luftmine - wie es bei der Schwester meiner Mutter passierte – schräg durch die Wand in den Keller flog. Dann war es natürlich aus.

Wie sah der allgemeine Tagesablauf angesichts der Bedrohung aus?

Man ist morgens – nachdem man nachts oft stundenlang im Keller gesessen und vielleicht nur 3 - 4 Stunden geschlafen hatte – ins Büro. Um diese Uhrzeit gab es glücklicherweise keine Angriffe. Oft kam dann nachmittags erst der Alarm. Man hat einfach alles stehen und liegengelassen und ist runter in den Keller. Sobald der Angriff vorbei war, hat man nach Möglichkeit einfach da weiter gearbeitet, wo man aufgehört hatte. Danach ging man nach Hause.

Wenn es regnete oder stark bewölkt war, so dass es nachts stockdunkel war, wusste man, dass es in dieser Nacht wohl keine Fliegerangriffe geben würde, da die Flieger klare Sicht zur Orientierung brauchten. Wenn es aller-dings sternenklarer Himmel war, konnte man schon ahnen, dass ein Angriff bevorstand.

Ab 1944 verschlechterte sich die Lage extrem und es wurde fast schon täglich angegriffen. Man muss sich auch vorstellen, dass die Straßen schon seit Beginn der Angriffe auf Worms völlig verdunkelt waren. Es brannten keine Laternen und alle Fenster waren abgedichtet.

Weshalb wurde das gemacht?

Damit die Flieger keine Möglichkeit hatten, Lichter und damit Ziele von oben zu sehen. Das war sehr, sehr wich-tig. Wer ein Fenster nicht richtig verdunkelt hatte, wurde sogar bestraft. Man dichtete die Fenster mit schwarzem Spezialpapier ab, das man wie einen Rollo herunterlassen konnte. Es durfte kein einziger Lichtstrahl durchfallen.

Wenn wir sicher waren, dass keine Angriffe bevorstanden, weil es eben – wie schon erwähnt – zu bewölkt war, wollten wir natürlich auch mal zu Freunden oder ins Kino gehen, was man damals nach Möglichkeit oft getan hat – es gab ja schließlich noch kein Fernsehen. Es kam dann auch vor, dass man im Kino saß und der Alarm ertönte, weil die Bewölkung aufgerissen war und die Bomberpiloten ihre Ziele erkennen konnten. Dann musste man das Kino so schnell wie möglich verlassen und einen Luftschutzkeller aufsuchen.

Wenn man in der total verdunkelten Stadt durch die Straßen lief, kam es auch mal vor, dass man sich den Kopf an einem Laternenpfahl anstieß. Aber die gute Seite war, dass man keine Angst zu haben brauchte, überfallen zu werden oder die Handtasche weggerissen zu bekommen - im Gegensatz zu heute. Denn das gehörte im dritten Reich auch dazu: Wer so etwas gemacht hätte, wäre sofort sehr hart bestraft worden.

Gab es auch in der Stadt Möglichkeiten in Bunkern Unterschlupf zu finden?

Ja, selbstverständlich. Es waren jedoch keine großen Bunker, sondern öffentliche Luftschutzkeller. Dort ist man so schnell wie möglich reingerannt. Man konnte auch versuchen, in privaten Häusern bei fremden Leuten im Keller Schutz zu finden. Manchmal passierte es aber auch, dass man keinen Unterschlupf fand. Dann suchte man den Himmel ab, um die ausgeklinkten Bomben zu entdecken – so konnte man erkennen, wo sie niedergehen wür-den und ob man außer Gefahr war.

Wie sahen die ausgebauten Keller aus?

Bei jedem Keller, der als Schutzkeller diente, musste ein Fenster vergrößert und mit einer Eisentür versehen wer-den. Zudem wurde ein Durchbruch zum Nachbarkeller gemacht, damit man in den anderen Keller flüchten konn-te, wenn das Haus einstürzt. Jeder Keller musste mit einer feuerfesten Stahltür ausgestattet werden. Es gab nur Stühle zum Sitzen und eine Wanne mit Wasser, um darin Tücher tränken zu können. Die konnte man vor das Gesicht halten, um in der staubigen Luft noch atmen zu können.

Unser Keller war ein alter Gewölbekeller. Der war sehr stabil, aber dennoch wackelte das ganze Haus wenn Bomben fielen. Was auch passieren konnte, war, dass eine Bombe, oder noch schlimmer eine Luftmine - wie es bei der Schwester meiner Mutter passierte – schräg durch die Wand in den Keller flog. Dann war es natürlich aus.

Wie sah der allgemeine Tagesablauf angesichts der Bedrohung aus?

Man ist morgens – nachdem man nachts oft stundenlang im Keller gesessen und vielleicht nur 3 - 4 Stunden geschlafen hatte – ins Büro. Um diese Uhrzeit gab es glücklicherweise keine Angriffe. Oft kam dann nachmittags erst der Alarm. Man hat einfach alles stehen und liegengelassen und ist runter in den Keller. Sobald der Angriff vorbei war, hat man nach Möglichkeit einfach da weiter gearbeitet, wo man aufgehört hatte. Danach ging man nach Hause.

Wenn es regnete oder stark bewölkt war, so dass es nachts stockdunkel war, wusste man, dass es in dieser Nacht wohl keine Fliegerangriffe geben würde, da die Flieger klare Sicht zur Orientierung brauchten. Wenn es aller-dings sternenklarer Himmel war, konnte man schon ahnen, dass ein Angriff bevorstand.

Ab 1944 verschlechterte sich die Lage extrem und es wurde fast schon täglich angegriffen. Man muss sich auch vorstellen, dass die Straßen schon seit Beginn der Angriffe auf Worms völlig verdunkelt waren. Es brannten keine Laternen und alle Fenster waren abgedichtet.

Weshalb wurde das gemacht?

Damit die Flieger keine Möglichkeit hatten, Lichter und damit Ziele von oben zu sehen. Das war sehr, sehr wich-tig. Wer ein Fenster nicht richtig verdunkelt hatte, wurde sogar bestraft. Man dichtete die Fenster mit schwarzem Spezialpapier ab, das man wie einen Rollo herunterlassen konnte. Es durfte kein einziger Lichtstrahl durchfallen.

Wenn wir sicher waren, dass keine Angriffe bevorstanden, weil es eben – wie schon erwähnt – zu bewölkt war, wollten wir natürlich auch mal zu Freunden oder ins Kino gehen, was man damals nach Möglichkeit oft getan hat – es gab ja schließlich noch kein Fernsehen. Es kam dann auch vor, dass man im Kino saß und der Alarm ertönte, weil die Bewölkung aufgerissen war und die Bomberpiloten ihre Ziele erkennen konnten. Dann musste man das Kino so schnell wie möglich verlassen und einen Luftschutzkeller aufsuchen.

Wenn man in der total verdunkelten Stadt durch die Straßen lief, kam es auch mal vor, dass man sich den Kopf an einem Laternenpfahl anstieß. Aber die gute Seite war, dass man keine Angst zu haben brauchte, überfallen zu werden oder die Handtasche weggerissen zu bekommen - im Gegensatz zu heute. Denn das gehörte im dritten Reich auch dazu: Wer so etwas gemacht hätte, wäre sofort sehr hart bestraft worden.

Was spielte sich in jener verheerenden Nacht ab, in der Ihr Haus abbrannte?

Es war am 21. Februar 1945, einen Tag vor meinem 20. Geburtstag. Um ca. 20.00 Uhr heulten wieder mal die Sirenen. Wir zogen uns also Mäntel an und rannten in den Keller. Meine Mutter, die mal wieder krank war, hatte nur Strohschuhe an und war relativ dürftig gekleidet (Anm.: Strohschuhe, geflochten aus Stroh, waren im Krieg Ersatz für Hausschuhe).

Kaum unten, begann auch schon das Inferno. Obwohl wir ein stabiles Kellergewölbe hatten, schaukelte das ganze Haus, Putz fiel von den Wänden auf unsere Köpfe. Plötzlich kam aus dem kleinen Ofen eine Stichflamme!

Mein Vater konnte sie zum Glück sofort löschen, denn ganz in der Nähe hingen unsere Kleider auf einer Stange.

Aber die Flamme hatte den ganzen Sauerstoff im Raum verbraucht. Vater öffnete für einen Augenblick die Feuerschutztür. Er wurde fast mit hinaus gerissen. Mit gan-zer Kraft gelang es ihm jedoch, die Tür wieder zu schließen.

Im Raum stand, wie schon erwähnt eine große Wanne mit Wasser. Darin tränkten wird Tücher und hielten sie vor unser Gesicht, um den Staub nicht einzuatmen.

Als das Inferno dann vorüber war, versuchten wir nach draußen zu kommen. Wir waren ganz erstaunt und etwas erleichtert, dass dies auf normalem Weg noch möglich war. Wir dachten unser Haus wäre eingestürzt. Als wir ins Freie kamen, sahen wir schon an verschiedenen Stellen die Häuser brennen. Wir ahnten schon, dass die ganze Innenstadt in Flammen stand, was uns dann später bestätigt wurde. Sofort flüchteten wir – wie alle Leute aus der Straße und aus der ganzen Umgebung – in den Stadtpark, der ja nur ein paar Meter von unserem Haus entfernt war.

Natürlich erfuhren wir auch, dass es viele Tote gab. Plötzlich hörte ich die Stimme von Cousine Ilse. Sie kam aus der Wollstraße. Ich hörte, wie Ilse sagte: „Papa, kannst du noch?" Ich rief nach ihr und als sie kam, fiel sie sofort meiner Mutter um den Hals und sagte weinend: „Tante, Mama ist tot." Sie alle waren im Keller verschüt-tet gewesen. Tante Babette, die Mutter von Ilse, und eine Frau die zu Besuch bei Leuten im Haus war, waren tot. Ilses Freund Günther, der auch im Keller, und als Einziger nicht verschüttet war, befreite die anderen und so konnten sie durch das vergrößerte Kellerfenster ins Freie gelangen. Onkel Franz Braza, Ilses Vater, blutete aus vielen kleinen Wunden am Kopf.

Kaum hatten wir das Schreckliche erfahren, kam der zweite Angriff. Zuerst standen Leuchtraketen am Himmel.

Damit steckten die Angreifer ihr Ziel ab. Dann kam die Vernichtung vom Himmel. Sprengbomben und Phos-phor-Brandbomben. Wir warfen uns im Stadtpark auf den kalten Boden, das Gesicht zwischen die Hände ge-presst. Wir dachten das wäre jetzt unser Ende. Kaum zu glauben, irgend wann war es dann vorbei.

Wir gingen zurück und sahen schon aus der Entfernung, dass unser Haus brannte. Schnell stürzten wir hin, um vielleicht noch etwas retten zu können. Ecke Ludwigstraße/Hagenstraße stand die Feuerwehr. Ich rannte hin, um Hilfe zu holen. Sie schickten mich in die Kommandozentrale am Lutherpförtchen. Auch da lief ich so schnell es ging hin. Endlich kam die Feuerwehr zu uns. Es war eine Wehr vom Land. Sie versuchten ihre Schläuche an den Hydranten anzuschließen, mussten jedoch feststellen, dass sie nicht passten - und das nach fast 5 Jahren Bombenkrieg! Sie schickten mich nochmals zur Wehr, um dort ein passendes Zwischenstück zu holen, was ich auch bekam. Diesen schweren Schlauch schleppte ich nun zu unserer Wehr am Haus und als man endlich anfangen wollte, kam kein Wasser mehr aus dem Hydranten, nur noch Schlamm. Alles umsonst!

Jetzt ging es nur noch darum, zu versuchen, einiges aus dem brennenden Haus herauszuholen. Man muss sich vorstellen: das Treppenhaus dunkel, überall Glasscherben, die Fenster samt Rahmen durch die Sprengbomben herausgerissen, die Räume total dunkel und über uns brannten der Dachstuhl und der Speicher lichterloh. Tante, Vater und ich - meine Mutter hatten wir fürs erste im Stadtpark zurück gelassen - rannten in den Zimmern herum, um wenigstens etwas retten zu können. Vater schlug die Betten ab, transportierte sie im Feuer auf die Straße, warf die Matratzen über das Treppenhaus und leider auch über die Glasscherben, nach unten. Natürlich waren sie dann teilweise durch das Glas aufgeschlitzt und wir mussten sie später flicken. Als ich im Herren-zimmer war, kamen plötzlich einige Soldaten herein, die eingesetzt waren, um zu helfen.

Sie halfen mir den Schreibtisch und den Bücherschrank nach unten zu bringen. Alles was im Schrank war, hatten wir auf den Boden geworfen. Einem Soldaten haben wir es zu verdanken, dass wenigstens noch einige Bücher gerettet wurden. In der Dunkelheit sah ich, wie Vater mit der schweren Standuhr - die ihr eben gerade in der Diele schlagen hört - auf der Schulter, aus dem Esszimmer kam und sie gut nach unten brachte. Doch den Männern und mir blieb der Bücherschrank im Treppenhaus stecken, wir kamen am Treppenabsatz nicht herum. Die Soldaten, die mit mir noch oben, also hinter dem Schrank standen, schrien: „Wir verbrennen!“, denn das Feuer hatte mittlerweile die obere Etage erreicht. In meiner Verzweiflung kam spontan der Gedanke den Schrank über das Treppengeländer zu werfen, was uns auch gelang und somit konnten wir dem Feuer rechtzeitig entkommen.

Nun standen die wenigen Gegenstände, die wir gerettet hatten, auf der Straße. Man kann sich nicht vorstellen welche Hitze der Feuersturm entfacht hatte. Unsere Lippen waren aufgeplatzt, die Haut an meinen Fingerkuppen schälte sich ab, der Feuersturm hatte uns die Kopftücher vom Kopf gefegt. Es war die Hölle.

Dabei war es bereits der siebte Angriff auf unser Haus. 1943 hatte es schon einmal gebrannt. Erst nach fast übermenschlichem Einsatz, indem wir mit Nachbarn im Treppenhaus eine Kette mit Wassereimern bildeten, die bis zum Speicher reichte, und mit Hilfe der Feuerwehr, konnten wir das Schlimmste verhindern. So brannte damals nur der hintere Teil des Dachstuhls ab. Jedoch lief das Lösch-wasser der Feuerwehr wie ein Sturzbach durch das ganze Treppenhaus und natürlich auch durch die Decken in die Wohnungen. Die anderen, „kleineren“ Schäden entstanden durch Sprengbomben, die in der Nähe einschlu-gen. Unsere Fenster waren mehrmals zerborsten, Risse waren in den Wänden, Glassplitter steckten in den Möbeln, die wir mit der Pinzette herauszogen. Zum Schluss gab es dann überhaupt kein Glas mehr. So waren unsere Fenster mit Dachpappe, Kartons und was man so auftreiben konnte, vernagelt. Aber immerhin konnten wir noch darin wohnen, bis zu diesem 21.- 22. Februar.

Da standen wir nun am Morgen meines 20. Geburtstages vor unserem brennenden Haus, ohne Essen, ohne Zahnbürste, nur mit dem was wir auf dem Leib hatten und dem bisschen Kleidung und Wäsche, die noch in unserem Keller war. Nur wer so etwas erlebt hat, kann sich vorstellen wie uns zu Mute war. Ich werde den Augenblick nie vergessen, als die brennende Decke vom 3. Stock in mein Zimmer fiel. Auf meinem Kleider-schrank hatten wir meinen wirklich wertvollen Kaufladen und die Puppenküche deponiert, nachdem 1943 der Speicher gebrannt hatte. Wir dachten damals nicht, dass unser Haus jemals total ausbrennen würde. Nun musste ich von der Straße aus mit ansehen, wie das alles in Flammen aufging. Der Schock sitzt heute noch tief. Jahrelang konnte ich nicht in eine offene Flamme schauen.

Nun ja, als es dann endlich Tag wurde, gingen wir in die Heinrichstraße zu Werners – Bruder und Schwägerin meiner Mutter. Wir konnten fürs erste die untere Wohnung einer Verwandten, die in Dresden war, nutzen.

Die Stadt brannte noch immer. Es war nicht möglich, in die Innenstadt vorzudringen. Erst zwei Tage nach dem Angriff konnte mein Vater mit mir einen Versuch machen, eine Apotheke zu finden, denn ein Verwand-ter meiner Mutter lag mit Lungenentzündung im Bunker der Firma in der mein Vater Geschäftsführer war und brauchte dringend Medikamente. Wir kamen an den zerstörten Häusern vorbei, teilweise mussten wir über Trümmer steigen. Auf unserem Weg fanden wir eine total verkohlte Leiche. Die Schrecken hörten einfach nicht auf.

Aber wir erreichten dann doch die Adler-Apotheke am Dom.

Das Barockhaus – eines der ältesten Häuser von Worms, das noch heute diese Apotheke beherbergt – war, im Gegensatz zu allen umliegenden Häusern, nicht von Bomben getroffen worden. Glücklicherweise hatte sie auch noch geöffnet. Überall auf dem Boden der Apotheke lagen auf Bahren verwundete Soldaten – es war schrecklich. Wir bekamen die Medizin, die Vater dann mit dem Fahrrad in den Bunker brachte.

Die Fliegerangriffe nahmen kein Ende, ob am Tag oder in der Nacht. Als wir Tage nach dem 22. Februar Ilses Mutter beerdigten, kamen die Tiefflieger und schossen mit Maschinengewehren auf uns. Glücklicherweise trafen sie uns nicht, aber Ilse drehte durch, flüchtete hinter einen Grabstein und schrie: “Ich will nicht sterben, nein, nein!“ Wir waren stumm vor Entsetzen, dass man auf wehrlose Zivilisten auf dem Friedhof schoss.

Am 18. März - es war ein Sonntagmorgen – kamen die amerikanischen Bomber und gaben unserer Stadt dann den Rest. Am Kriegsende waren fast 90% der Stadt zerstört oder schwerst beschädigt. Wir hatten inzwischen einen Unterschlupf gefunden, zwei Häuser weiter von unserer Ruine entfernt, in einem Haus, das nicht zerstört war. Die Besitzer waren aufs Land geflüchtet und überließen uns ihre Wohnung. Im Keller dieses Hauses überlebten wir den Angriff an diesem Sonntag. Es gab wieder viele Tote – auch eine liebe Ruderkameradin von mir war dabei.

Neben dieser ständigen Angst vor den Angriffen, war aber auch das Zusammenleben nicht einfach. Da meine Familie keine begeisterten Hitleranhänger waren - es war bekannt, dass wir nicht unbedingt gerne „Heil Hitler“ sagten - hat man ja ständig Angst haben müssen, dass man durch eine falsche Äußerung ins KZ kommt. Ich muss aber betonen, dass wir nicht gewusst haben, was sich dort wirklich abspielt. Wir glaubten nur, wer ins KZ kom-me, müsse hart arbeiten. Von Gaskammern haben wir nichts gewusst.

Da viele Leute – im Gegensatz zu uns – kein Telefon hatten, kam, wie das früher so üblich war, oft die Nachbarschaft, um bei uns zu telefonieren – so auch eines Tages ein SS-Mann.Zufälligerweise wurde in diesem Moment im Radio die Sondermeldung gebracht, dass bald mit dem Sieg über Russland zu rechnen sei, woraufhin meine Mutter sagte: „Wenn ich so etwas höre, wie soll denn das noch möglich sein?“ Dies hätte sie nicht tun sollen. Der SS-Mann schrie sofort: „Jetzt reicht´s mir! Die bring´ ich ins KZ.“ Die Aufregung war groß! Stunden später kam die Frau dieses Mannes und sagte, sie hätte ihren Mann auf Knien angefleht, dies nicht zu tun – meine Mutter dürfe aber nie wieder so etwas sagen. Aus Angst kauften meine Eltern eine kleine Hitlerbüste und stellten diese direkt neben das Telefon.

In der Nacht in der unser Haus abbrannte, nahm mein Vater in seiner Wut diese Büste und warf sie aus dem bereits zerstörten Fenster mit den Worten: „Achtung, der Führer kommt!“ Sehr kurios war dann, dass – als unser Haus eingestürzt war – die Büste ohne Sockel, also quasi geköpft, oben auf dem Trümmerhaufen lag. Die Nachbarschaft sagte zu meinem Vater entsetzt: „Herr Schlebach, sie müssen doch den Führer aufheben!“ Daraufhin sagte mein Vater: „Ich weiß nicht, wie der dahin gekommen ist“ und ging weg. Irgendwann war dann Hitlers Kopf verschwunden. Wir wissen nicht wer ihn hat verschwinden lassen, wir haben ihn jedenfalls liegenlassen.

Was haben Sie noch in den Trümmern gefunden?

Nichts. Überhaupt nichts. Nur in der Garage, die im Hof war, stand noch Vaters Auto, das ja nicht mehr im Krieg fahren durfte und konnte - es gab ja schließlich kein Benzin mehr. Im Keller hatten wir auch noch Wein. Als ich einmal an unserem Haus, bzw. an dessen Trümmern, vorbeikam, bemerkte ich, dass amerikanische Soldaten das Auto aus der Garage gezogen hatten, obwohl wir das Tor mit Schutt und unserer Badewanne versperrt hatten. Den Wein hatten sie auch gefunden und standen nun betrunken in unserem Hof am Auto. Ich bin sofort rein gerannt - was auch sehr mutig war - und habe geschrien sie sollen unser Auto in Ruhe lassen, doch sie lachten nur. In meiner Verzweiflung riss ich die Autotür auf und zog den Rücksitz heraus. Damit bin ich bis zu unserer Unterkunft gelaufen und erzählte heulend meinem Vater: „Gerade eben ziehen sie unser Auto aus der Garage! Aber den Rücksitz hab ich." Ich dachte ohne die Rückbank könnten sie wenigstens nicht sitzen. Irgendwann haben sie es dann doch mitgenommen.

Konnten Sie sie nicht aufhalten? Es war ja schließlich ihr Eigentum.

Nein. Das interessierte niemanden. Sie haben den Leuten Uhren und was sie alles finden konnten abgenommen. Hin und wieder gab es auch Vergewaltigungen, was aber bei den Amerikanern sehr hart bestraft wurde, im Gegensatz zu den Russen. Sonst kann ich aber gar nichts Schlechtes über sie sagen, sie hätten mich ja auch schlagen können, aber sie waren friedlich.

Das Verhältnis war eigentlich gar nicht schlecht. Die Amerikaner haben schnell dafür gesorgt, dass ein Gremium entsteht, das über die Stadt entscheiden konnte, um wieder Ordnung zu schaffen.

Wie konnten Sie sich überhaupt versorgen?

Ja, das fragte ich mich damals auch. Man muss sich vorstellen, alles war zerstört, woher sollte man etwas zu Essen bekommen? Es gab kein Wasser, nur Staub und Trümmer. Im nicht zerstörten Gymnasium am Rhein stellte man eine Gulaschkanone auf, man kochte Suppe, die wir uns holen konnten, vorausgesetzt, man hatte ein Gefäß, um sie zu transportieren. Wasser konnten wir, wenn wir Eimer hatten, am Beginn des Stadtparks aus Gärten holen, die eine Pumpe hatten.

Aber nach und nach entstanden wieder kleine Geschäfte.

Nach einiger Zeit rückten die Amerikaner ab und die Franzosen kamen. Die Versorgung lief gleich schlechter, da die Franzosen genauso arm waren wie wir. Ich weiß nicht mehr genau wie lange sie noch da waren, auf jeden Fall noch bis nach 1947, danach kamen wieder die Amerikaner, die erst vor einigen Jahren ganz abgezogen sind.

Weshalb wurde Worms überhaupt kurz vor Kriegsende so heftig bombardiert ?

Soweit bekannt, wollte der Oberbürgermeister, der ein großer Nazi war, die Stadt nicht frei-geben. Hätte er die Stadt an die Amerikaner übergeben, wäre wahrscheinlich alles noch einigermaßen gut gelaufen. Doch er blieb hart-näckig und deshalb wurde die Stadt so stark bombardiert.

In der Nacht des Angriffs floh er dann über den Rhein und keiner hörte mehr etwas von ihm.

Herzlichen Dank für das Interview, Frau Lied

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