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Bericht Teil 3

20.10.2004  Olá Alemanha,

Der vorletzte Tag des Jahres.... Man kann’s kaum glauben. Heute ist unser letzter Arbeitstag hier in der Comunidade, wir haben den Klassensaal und das Büro ausgeräumt und bisschen Ordnung geschafft, die Kinder sind heute schon nicht mehr da. Und jetzt hab’ ich mich mal hingesetzt, um euch zu schreiben, was ich so getrieben habe in der letzten Zeit und wie’s dann HOFFENTLICH weitergeht.

Vor ein paar Wochen war ich ja in Piaui, Kathrin, eine andere deutsche Freiwillige, besuchen. War sehr interessant, die Realität und dementsprechend die Arbeit sind ganz anders dort. Pedro II, die Stadt (wenn man’s so nennen kann), in der sich das Projekt Mandacaru befindet, liegt praktisch schon im Sertão, also der Trockenregion im Inland hier im Nordosten. Acht Monate im Jahr fällt dort kein Tropfen Regen. Die Leute dort sind zum grössten Teil Kleinbauern, die entweder gar kein eigenes Land haben (sie arbeiten auf dem Land eines reichen Grossgrundbesitzers, verdienen fast nichts) oder nur sehr wenig. Familien, die jeden Tag kilometerweit laufen, um Wasser zu holen, arbeiten den ganzen Morgen mit leerem Magen in der prallen Sonne auf dem Feld, und es ist nicht gesagt, dass es mittags was zu essen gibt, ganz zu schweigen von einer Dusche, um den Dreck abzuwaschen, oder mal einem freien Tag.

Mandacaru arbeitet unter anderem mit dem „1 Million Zisternen Projekt“, was die simpleste, aber effizienteste Sache der Welt ist: Jedes Haus (zuerst mal die Häuser, die es am meisten benötigen, wo etwa alte Leute, allein erziehende Mütter o.ä. wohnen) erhält eine Zisterne, d.h. einen Wasserspeicher, in die während der Regenzeit das Regenwasser vom Dach geleitet wird. Das sind ca. 16.000 Liter, was für eine fünfköpfige Familie ausreicht, um 8 Monate lang zu trinken und zu kochen. Ich hab’ ein paar Familien besucht, und diese Sache verändert Leben.

Desweiteren arbeitet das Projekt mit sog. „assocaçoes“ in den Gemeinden im Interior, um Bewusstsein in den Menschen aufzubauen: Sie schließen sich zusammen, um ihre Rechte einzufordern, und es gibt auch schon einige Resultate wie z.B. Stromanschlüsse, eine Zufahrtstrasse o.ä. Vor allem aber sind diese Menschen sehr viel kritischer den Autoritäten gegenüber und glauben daran, etwas ändern zu können, was hier in Brasilien nicht unbedingt selbstverständlich ist; ich habe manchmal das Gefühl, dass die Menschen schon so an die Korruption hier gewöhnt sind, dass sie sie als gegebene Sache ansehen.

Es gibt auch einige Kindergärten in den Gemeinden und eine Schule in der Stadt selbst, deren Niveau sehr viel höher ist als das „normaler“ brasilianischer Schulen. Sie ist speziell für Kinder aus dem Interior ausgerichtet., es gibt einen riesigen Schulgarten, Ziegen, Felder, Hühner, es wird am Umweltschutzgedanken gearbeitet, Papier und Seife werden hergestellt und, und, und.

Alles in allem eine interessante uund lustige Woche, Caipirinha hat auch nicht gefehlt. Und der 24-Stunden-Busmarathon war auch eine Erfahrung wert.

Als ich dann wieder da war, gingen hier die Vorbereitungen für das Alfabetisierungsfest der Vorschulklasse sowie die ca. 50 000 Weihnachtsfeiern los (Brasilianer sind manchmal schon kompliziert). Vor allem das Fest im Straßenhaus war aber letztendlich sehr, sehr schön, mit Hot-Dogs und Limonade und sehr bunt und verrückt, mit Tatoos aus Wasserfarbe etc.

Bei der Verabschiedung der Kids in die Ferien hier in der Comunidade war’s auch sehr lustig; es gibt hier einen Rap/Graffiti/Breakdance-Workshop, und also hatten wir gestern große Hip-Hop-Vorstellung. Ist ja eigentlich nicht so mein Ding, aber es ist echt beeindruckend, die Kids schreiben ihre Texte selbst, die alle von Favelas und ähnlichem handeln. Nino, der den Workshop leitet, ist außerdem ein guter Freund von mir und echt ein Unikat.

Außerdem waren wir im Jugendgefängnis auf „Weihnachtbesuch“. Es gibt dort zwei Bereiche, einen, der noch relativ offen ist, und einen geschlossenen. Als wir in diesen zweiten Bereich gekommen sind, hab’ ich mich gefühlt wie im Film: Wir kamen auf so einen Beton-Fußballplatz mit hohen Mauern drumrum und Stacheldraht obendrauf, an einer Seite ein Haus mit Gitterfenstern, aus denen ein paar Jungs rausguckten. Auf dem Platz ein Haufen Jugendliche, ohne Beschäftigung, rauchend und im Schatten sitzend. Ich hab’ nur gedacht: Wie war dein Leben in dem Alter, und wie ist das Leben für diese Kids hier.

Wir haben dann mit denen gesprochen, die früher regelmäßig ins Casa da Rua gekommen sind, unsere Geschenke überreicht und mussten auch schon wieder raus.

Was st noch passiert in den letzten Wochen… Weihnachten ist hier irgendwie ziemlich enttäuschend, die Leute rennen wie blöd durch die Hitze, um schicke Klamotten zu kaufen, aber das ist auch schon alles. Ich hab’ Heiligabend im Haus von Marinalda verbracht, war auch ganz nett, nur dass ich bis Mitternacht warten musste, um essen zu dürfen, und ich war den ganzen Tag rumgerannt und hatte leckeren Nudelsalat und Apfelpfannkuchen vorbereitet.

Ach ja, ich bin außerdem fast in die Tiefe gestürzt! Ich war nämlich das Wochenende vom 25. campen, auf dem „Pedro de Cachorro“. Um da hochzukommen, muss man erstmal 2 Stunden lang durchs Gestrüpp den Berg hochklettern (nachdem man sich abenteuerlich einen schrottreifen Toyota gesucht hat, der einen an den Fuß des Berges bringt), bevor dann der Spaß erst richtig anfängt. Es gibt nämlich eine fast senkrechte Schlucht, durch die man sich dann mitsamt Zelt, Gepäck und 5-Liter-Weinflasche hochkämpfen muss. Bevor wir damit anfangen konnten, mussten wir aber erstmal eine Vogelspinne vertreiben, die sich da ihren Spaß machte. Na ja, wir also da hoch und ging auch alles gut, bis wir dann am Ende der Schlucht ankamen, da muss man dann mithilfe von ein paar Eisenkolben über den Fels hangeln muss. Da bin ich dann mit meinen glatten Turnschuhsohlen abgerutscht und hing an der Hand von Nato, aber jetzt nicht ganz so schlimm, ich hab’ sofort einen von den Kolben zu fassen gekriegt. Und da oben ist echt ein krasser Ort, hab’ mich gefühlt wie in „Herr der Ringe“, Wahnsinnsaussicht und später Vollmond und noch später Sonnenaufgang. Und wir haben uns ein lustiges Fest da oben gemacht.

Der Rückweg war dann wieder sehr abenteuerlich, aber wir sind doch wieder heil in Caruaru angekommen, nur mein Gesicht war total verbrannt von der Sonne.

Und jetzt ist fast schon Sylvester, das ich mit 90%iger Sicherheit am Strand verbringen werde, sicher ist noch nichts, dass weiß man hier immer erst, wenn’s so weit ist. Aber ich erzähl euch dann, wie’s war.

Danach fangen erst mal meine Ferien an, vielleicht bleib ich dann ein paar Tage am Strand, später geh’ ich noch mal campen, und am 13. Januar fahr’ ich nach Salvador, bleib dort 3 Tage und flieg’ nach Bolivien. Am 24. komm’ ich dann zurück, hoffentlich nochmal mit einem Visum für erstmal weitere 3 Monate. Aber jetz heißt’s erstmal entspannen.

Also soweit erstmal der Stand der Dinge; vielen, vielen Dank für die vielen Weihnachtsgrüße, trinkt morgen einen für mich mit, ich trink einen für euch mit!

Abraços und Sonnenschein!!! Bis dann,

Ruth

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