Die Kunst ist lang! Und unser Leben kurz!
10.09.2007 Man nehme für eine gelungene Exkursion zweier Deutschleistungskurse:
- ca. 40 hochmotivierte Deutsch-Leitungskurs’ler, deren Homogenitätsschwelle bei 20 Minuten Zugfahrt lieg
- zwei Deutschlehrer namens Schaupp und Tews deren Schülerverträglichkeit bei 99,999% liegt
- eine Priese Weltkuturstadt namens Weimar
- eine ausführliche theoretische Vorbereitung inkl. Herder, Wieland und Charlotte von Stein, die durch einen Hauch Urfaust durch den Mixer gejagt wurde
- eine handvoll Jugendherberge, die die gastronomische Wirtschaft der Innenstadt ankurbelt und dennoch einen süßen Nachgeschmack und den Wunsch nach mehr hinterlässt
- 34 Digital-Kameras
- 86 Mobiltelefone
- zwei Turteltäubchen
- ein Geburtstagskind
Man rühre die Zutaten um 15:00 Uhr mitteleuropäischer Zeit am 29. August 2007 am Landauer Hauptbahnhof zusammen, lasse das ganze bis zum 1. September ziehen und schaue was passiert:
Mittwoch: Nach etwa fünfstündiger Zugfahrt erreichten wir endlich Weimar und nach endlos vielen Ost-West-Gesprächen, die letztendlich dazu führten, dass einige Mitschüler eine Grenzkontrolle erwarteten, erreichten wir endlich Weimar. Die Praxis einer Theorie, die für einen Menschen auf dem Weg zum Abitur zu Beginn des 19. Jahrhunderts offiziell endet und dennoch plötzlich so vor Realität strotzt. Es war schon später am Abend, als wir ankamen und unsere Lehrer schlugen vor, nach dem Abendessen und Beziehen der Zimmer, einen Ausflug in das Weimarer Nachtleben zu probieren. Also standen wir unter klarem Sternhimmel und ziemlich müde endlich vor einem der Wahrzeichen deutscher oder sogar europäischer Kultur: dem Goethe-Schiller-Denkmal direkt vor dem Nationaltheater schlechthin. Spätestens jetzt war die Pfalz erst mal “aus den Augen, aus dem Sinn”. Ein prickelndes Diskothekenangebot fanden wir zwar wider Erwarten nicht, es irrt der Mensch eben, solange er strebt. Dennoch gelang es uns den Abend amüsant zu füllen.
Donnertag: Der Donnerstag war den Kursen schon im Vorfeld als Urei der Exkursion angekündigt worden. Ein Tag vollgestopft mit Goethe, Schiller und Co. Nach einem Massenkoffeinkonsum in der Jugendherberge wurde unser Tagesprogramm durch einen ausführlichen Vortrag zu Goethe eröffnet. Während einer der beiden Kurs das Nationaltheater unsicher machte, eroberten die anderen Goethes Wohnhaus, in dem es bis heute einiges zu bewundern gibt, wie etwa sein Arbeitszimmer, das sich durch die ausgeprägte Schlichtheit auszeichnet. Sehr imposant war die Ausstattung der vielen Räume durch sehr große Statuen und unzähligen Gemälde. Manchmal war es schwer sich vorzustellen, dass dies tatsächlich die Räume waren, wo dieser geniale Mann gelebt hat. Nach einer angenehmen Mittagspause in der Sonne, die sich langsam schon Richtung Westen aufmachte und dem Plündern des “Ost-Shops” besuchten beide Kurse wieder ganz unter dem Stern der Einheit das Schillerhaus, das den Unterschied der Lebensstile zwischen Schiller und seinem Kollegen von Goethe deutlich machte. Durch den Besuch der Wohnhäuser bekamen wir nicht nur einen engeren Blick auf die beiden Dichter und Denker sondern auch zusätzlich einen weiteren Blick auf die Zeit und Lebensumstände der beiden. Die kleine Stadttour, die durch Herrn Schaupp und Herrn Tews geleitet wurde, ließ uns Schüler schnell erkennen, dass all das Sehenswerte kaum bewältigt werden konnte während unseres Aufenthalts. Zurück in der Jugendherberge bereiteten wir uns auf unseren ersten Theaterbesuch vor, zu dem wir uns gleich nach dem Essen aufmachten. Die Faust “Ein-Mann-Show” brachte zunächst einige zum Schmunzeln und etwas später alle zum Staunen über die besondere Art und Weise der Darbietung dieses Weltwerks. Den Rest des Abends durfte wir in Eigenregie verbringen, den die meisten allerdings völlig erschöpft von der Tagestour im Land der Träume erlebten.
Freitag: Etwas später am Morgen besuchten wir nächst die Fürstengruft, wo nicht nur blaues Blut den Rest der Ewigkeit verbringt, sondern auch Goethe und Schiller. Zwar nicht in trauter Zweisamkeit, aber dennoch Sarg an Sarg. Danach machten wir uns auf, um den berühmten Park an der Ilm zu bestaunen, mit dem sich ironischer Weise unsere Goethe und Schiller-Parks in Landau kaum messen können. Faszinierend verschlungene Anordnung der Wege, eine traumhafte Allee und in Mitte dessen Goethes Gartenhäuschen, das die Idylle perfektioniert. Goethes Gartenhäuschen besichtigten wir auch und es ließ erkennen, dass Goethe auch gerne mal die Bescheidenheit bevorzugte. Danach gönnten wir uns erst mal eine Mittagspause, die ausgiebig zum Einkaufen genutzt wurde. Am Nachmittag war es dann auch für den zweiten Kurs endlich soweit das Nationaltheater Weimars zu erkunden, was durch eine äußerst interessante Führung geschah. Riesige Kulissen und “das Dahinter” wirkten so faszinierend, dass sich einige dazu entschlossen das Kabarett am Abend für eine Vorstellung im Nationaltheater sausen zu lassen. Leider existiert nichts original “Klassisches” mehr, denn Brände und Krieg haben alle goetheschen Spuren komplett vernichtet, dennoch war der Besuch des Theaters mehr als beeindruckend und ließ auch hier das Drama des Unterrichts ein Stückchen lebendiger werden. Während die einen am Abend das Kabarett aufsuchten, das sich als eine der wenigen absolut missglückten Dinge während dieser Tage herausstellte, konnten wir anderen hautnah miterleben, wie es ein 20-Jähriger schaffte mit einer etwa 70-jährigen Frau auf der Bühne etwas intim zu werden, was für einige wohl der Kunstschock schlechthin war. Trotzdem verließen wir hellbegeistert das Theater und summten noch am nächsten Morgen Auszüge dieses genialen Theater-Musik-Stücks “Isabella’s Room”, das den Beifall von etwa fünf Minuten wirklich verdient hat. Gefühl ist eben alles; Name ist Schall und Rauch.
Samstag: Am Abreisetag wurde uns ein weiteres Mal die Vielseitigkeit Weimars vor Augen geführt. So warf der Besuch des Konzentrationslagers Buchenwald eine frostige Schattenseite auf die schillernde Weltkulturstadt. An diesem Morgen brachen die sonst so chronisch fröhlichen Deutschleistungskurse in kollektives Mitfühlen aus und waren mehr als schockiert darüber, wozu Menschen in der Lage sein können. In Buchenwald, das als Arbeitslager und nicht als Massenvernichtungslager genutzt wurde, wurden wir mit Folterwerkzeugen, Arrestzellen, Krematorien und Dokumenten konfrontiert, die in ihrer Grausamkeit Schwierigkeiten haben dürften Ihresgleichen zu finden.
Mit diesen Eindrücken wurden wir ein letztes Mal auf Ost-Shop, Goethe-Schiller-Denkmal und etwa vier Dutzend Thüringer-Bratwurststände losgelassen. Dort lernten wir dann auch Herrmann kennen, der unsere Laune wieder um einiges hob. Herrmann ist eine Kakerlake, die als Werbemittel für Insekten als Lebensmittel dient. Seine Besitzern, die wir unter dem Einfluss von chemischen Mitteln vermuteten, versuchte uns mit aller verbaler Energie von dieser Form von Ernährung zu überzeugen. Niemand ist perfekt. Auch Weimar nicht. Doch hier ist man Mensch, hier darf man sein. Oder Kakerlake. Aber das ist dann doch eher was für einen Herrn Kafka.
Schließlich traten wir dann die Rückfahrt gen Westen an und das natürlich im kollektiven Schlafen. Diese Exkursion war faszinierend und anstrengend zugleich und letztendlich waren wir dann auch wieder zufrieden Weinberge außerhalb unserer Träume zu sehen. Dennoch hoffen wir, dass noch viele weitere Deutschleistungskurse die Chance haben werden, Weimar nicht nur aus Textquellen kennen zu lernen.
Melanie Nägle