Sie sind hier: StartseiteArchiv > News 2005/2006 > 20051003 - Hannah Geißert

Tausend Einzelheiten verbinden sich zum Ganzen und prägen das Bild

03.10.2005 Hannah Geißert aus Landau verbringt fünf Monate in Ruanda – Der anfängliche Traum nimmt realistische Züge an – Einmalige Transporterlebnisse Die 20-jährige Abiturientin Hannah Geißert lebt fünf Monate lang in Landaus Partnerstadt Ruhango in dem afrikanischen Land Ruanda und arbeitet dort an einer Grundschule (wir berichteten am 3. August). Per E-Mail schildert uns die junge Landauerin ihre Erlebnisse. Inzwischen genieße ich schon fast einen Monat das ruandische Alltagsleben, wobei der anfängliche Träum realistische Züge annimmt und ich beginne, mich in die neue Kultur und die ganz andere Lebensweise der Ruander einzufinden. Bei der Ankunft in Kigali war ich überwältigt von der grünen Graslandschaft, die in Form von gewellten Hügeln das Land bedeckt, soweit das Auge blicken kann. Die Besiedlung in Form von terrassenartigen Häusern findet man nicht nur im Tal, sondern aufgrund der wachsenden Bevölkerung auch in den Bergen. Allerdings sieht man auch vereinzelt recht verlorene Lehmhäuser, die willkürlich in den unterschiedlichen Ebenen des Reliefs angeordnet sind. Durchwachsen ist das Hügelmeer von saftig grünen Bananenstauden, Papayabäumen, Maniok, Zuckerrohr und anderen Trockengewächsen, die aufgrund der momentanen Trockenzeit gut wachsen. In bestimmten Regionen Ruandas, etwa in Byumba, dient das Land vorwiegend der Export-Landwirtschaft. Auf einer riesigen Teeplantage sind die Bewohner dieses Distrikts damit beschäftigt, die Teeblätter in Körben zu sammeln. Körperliche Arbeit in der Landwirtschaft kennt man in Europa fast nicht mehr, da der Großteil landwirtschaftlicher Arbeit maschinell verrichtet wird. Die Utensilien des Alltags von der Haue, über die Wasserkanister bis zum Säuglingstragetuch, die einheimische Art des Feldbaus oder des Lastentransports auf dem Kopf der Frauen und der Kinder, die Bauweise der Lehnlütten, die Bedeutung der Trommel und der Kult der afrikanischen Holzfluren, das (fast schon zu) gemütliche Zeitgefühl, die bewegende und lebenslustige Musik während einer Bus-Taxifahrt und die ansteckende Tanzlust der Schulkinder, die selbst gebastelten Spielzeuge der Kinder (Bälle aus Bananenblättern oder Plastiktüten; alte Fahrradreifen oder Metallreifen, die mit einem Stock angetrieben werden), die gebrauchten Jacken vom Kleidermarkt (meist mit Aufschriften wie „Feuerwehr“, „der Euro kommt“ oder „Polizei“) und die knalligen, gemusterten Farben der Stoffe auf den Kunstmärkten all diese Einzelheiten verbinden sich zu einem Ganzen, das für mich ein Teil von Afrika, also Ruanda, prägt. In Gesprächen mit anderen Praktikanten, Helfern und vereinzelt Afrikanern stößt man immer wieder auf neue Ansätze, dem Land zu begegnen. Viele alltägliche Dinge, die für uns selbstverständlich sind, lernt man in Ruanda besser schätzen und lebt somit bewusster. Darunter versteht sich nicht nur das tägliche Duschen, die Qualität des Wassers, sondern auch der Standard, den man als Strom-Konsument nutzen kann. In Afrika wird man sich jeden Tag seiner bleichen Gesichtsfarbe bewusst, die trotz einer goldenen Bräune nach einem Sonnenbrand nicht zu steigern ist (ich spreche aus Erfahrung), sondern höchstens zur. Belustigung der anderen Deutschen beiträgt. Besonders groß ist die Freude einen „Muzungu“, so nennt man die Weißen hier, zu sehen und kaum begegnet man Einheimischen auf der Straße, so hört man Zurufe und den neu geborenen Spitznamen jedes Weißen. Es ist hier eine wahre Sensation, einen Weißen zu erblicken. Oft sind die Kinder so fasziniert, dass sie ihrem neuen Freund wie einem Blinklicht auf Schritt und Tritt folgen. Hinzu kommt die Neugier der Kinder, die es darauf anlegen, den Neuen von allen Seiten zu „beschnuppern“, ihm die Hand zu geben sowie ihn auf seinen Namen anzusprechen. Einziges Hindernis ist die auf dem Land gesprochene Muttersprache Kinyarwanda, der man als Muzungu hilflos ausgeliefert ist, sobald man von Kindern etwas gefragt wird oder alltägliche Dinge in einem kleinen Laden, wo die Kommunikationsbasis ausschließlich Kinyarwanda ist, erledigen möchte. Zum Glück retten mich in dieser Hinsicht immer noch mein Französisch und notfalls die Gestik und Mimik einer vergleichsweise wandelnden Marionette. Ein anderes Thema in Ruanda sind die Unberechenbarkeiten des Alltags, mit denen man täglich konfrontiert wird. Im Straßenverkehr – die Ampeln in Kigali sind fast immer ausgeschaltet – muss man mit der chaotischen und rasanten Fahrweise aller Verkehrsteilnehmer rechnen. Um eine Straße zu überqueren, muss man erstmal 15 Motortaxis, drei Minibusse und vier Taxis passieren lassen, um sich schließlich auf das nächste Straßenufer zu retten. Dann kann die nächste Hürde in Angriff genommen werden. Transport ist hier eine außergewöhnliche und einmalige Erfahrung. Fahrräder und Motorräder werden mit bequemem Rücksitz oder Gepäckträger zu normalen Taxis umgewandelt. Bei jeder Taxifahrt auf dem Motorrad kann man sich den Wind durch die Haare wehen lassen und die Landschaft wieder von neuem aufnehmen. Eine andere Möglichkeit bieten die Bustaxis, ein für sechs Personen ausgerichteter Kleinbus, der jedoch mit 19 bis 21 Personen voll gestopft wird (im wahrsten Sinne des Wortes) und dementsprechend mühsam vorwärts kommt. In Gatagara, einem Vorort von Ruhango, habe ich mit meinem Projekt in der Grundschule angefangen und fühle mich so langsam in die Rolle als Lehrerin ein. Außerdem bietet sich in Gatagara die Möglichkeit, noch in einem „Centre des Activités“ (einem Jugendtreff für Kinder und behinderte Kinder) kreativ mitzuwirken sowie im Kindergarten den Kindern deutsche Spiele, Bastelideen und andere Dinge beizubringen. In der Grundschule unterrichte ich Französisch, Kunst und Sport in einer 4. und 5. Klasse (in Ruanda hat die Grundschule sechs Schuljahre, anschließend geht es auf eine Sekundarschule). Nghaho, liebe Leser! Das war Kinyarwanda und heißt „Tschüss“.

© RHEINPFALZ, 29.9.2005

© 2006 Max-Slevogt-Gymnasium Landau - Impressum