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11.01.16

Expressionistische Literatur im Deutschunterricht

Lukas Speyer

Larissa Prestel

Leon Hülsenbeck

Mario Mendonca

Mirella Wagner

Alexandre Gauthier

Im Rahmen des Deutschunterrichts hat sich der Grundkurs (d1) der Jahrgangsstufe 13 intensiv mit expressionistischer Literatur auseinandergesetzt. Im Unterricht lernten die SchülerInnen neben bekannten expressionistischen Gedichten auch den 1929 von Alfred Döblin verfassten Roman „Berlin Alexanderplatz – Die Geschichte vom Franz Bieberkopf“ kennen. Im Anschluss fertigten die SchülerInnen Werke zum „Bieberkopf“ an, wie zum Beispiel einen Brief an einen Mithäftling über die Welt „da draußen“, ein Sonett mit Zitaten aus dem Roman, eine Großstadt-Bildcollage oder eine Umschlaggestaltung zum Roman.

Hier einige Beispiele:

 

In der Stadt (Girge Glock)

Wo soll ick armer Deibel hin?

Es bewegte sich alles.

Was war das alles?

Ein Schreck erweckte ihn.

 

Von hinten tönt ein lauter Schrei.

„Ist noch jemand zugestiegen?“

Die Straßenbahn fährt auf den Schienen

Ich bin aus dem Gefängnis frei.

 

Schrecklich war der Widerwille.

Die kleinen Kinder spielen. Schau!

Die Häuser scheinen alle grau.

 

Ihm war als täte Schreien gut;

Es fehlt ihm nur einen Funken Mut

Die Stadt bietet keine Stille.

 

 

Nichts (Maria-Theresia Bosch)

Die Stadt, sie führt hinein ins tiefste Nichts,

ausgefüllt von Elektrischen nah und fern.

Auf blanken Scheiben das Blitzern des Lichts.

Ich seh’ nichts, hör nichts, nur betäubender Lärm.

 

Welche hektisches Gewimmel hier überall.

Sie drängeln, schieben vorwärts unverschämt,

Affekte der Menschen – zerschlagen vom Schall.

Ich mittendrin – ganz alleine, gelähmt.

 

Ich armer Deibel latsche durch die Straße.

Die Häuserfront, gefolgt von Häuserfront,

versperrt den freien Blick zum Horizont.

 

Von nichts als Hoffnungslosigkeit umgeben,

fehlt ein Gefühl von Heimat und von Leben.

Durch Freiheit wird enthüllt die schlimmste Strafe.

    

In der Stadt (Robert Dragon)

Franz, warum schrecklich?

Rosenthaler Straße am Warenhaus

Augenblick gekommen, es ist aus

Nacht und Tag und hässlich

 

Zellen, die nicht!

B.Z., zugestiegen, scheu?

Illustrierte Funkstunde, neu?

Bürokrat tut seine Pflicht

 

Einzelhaft! Ich muss ächzen

Rote Wände, nach mir sie lechzen

Krankheiten auf allen Wegen

 

Oh Elektrische, wieso dem Teufel unterlegen?

Pflaster, nie unbedenklich

Franz, warum schrecklich?

 

Gefängnis zu Tegel                                                                                                                            

Seidelstraße 39

13507 Berlin

Zu Händen des Insassen B12-34; Adolf Leib alias „Muskel-Adolf“ 1

 

Lieber Adolf,

ich schreibe Dir diesen Brief in größter Not. Einsam und verlassen sitze ich hier in einem Hausflur, in einer Stadt, welche sich mir als vollkommen fremd offenbart hat. Ich habe hier nichts zu suchen, ich kenne das Leben hier draußen nicht. Wie ein kleiner Virus, ein Bakterium, ja wie ein Fremdkörper durchlief ich die Arterien des Organismus Berlins, welcher versucht mich abzuwehren.

Ein Nichtsnutz bin ich, ein Niemand. Wo soll ich anfangen? Wer gibt jemandem wie mir schon Arbeit, geschweige denn vertraut einem, der seine Große Liebe – ach meine geliebte Ida, wie gern würde ich dir all die Dinge gerne jetzt sagen, welche ich mich nie zu sagen wagte – aus blanker, unkontrollierter und vor allem unbegründeter Eifersucht erstach?

Und viel mehr Frage ich mich, welches Gericht einen im Affekt handelnden Mörder nur vier lachhafte Jahre im Gefängnis büßen lässt. Zwar bin ich kein Fritz Haarmann oder ein Peter Kürten2, aber dennoch hätten’s mindestens zehn Jahre sein dürfen, was meinst Du?

Nun gut, als ich also zu Beginn des Tages am Ausgangstor des Gefängnisses Tram um Tram vorbeifahren lies, erinnerte ich mich meiner selbst vor fast genau elf Jahren als ich aus der Kriegsgefangenschaft in die Heimat zurückkehrte. Nicht als Sieger – nein – genauso nutzlos wie heute stand ich vor einer Welt, welche sich in den vier Jahren Abwesenheit so rasant veränderte, dass kein Platz mehr für mich war.

Nur damals ging es vielen schlecht. Im Berlin der schwarzen Zwanziger3 scheint jedoch jeder ein gutes Leben zu genießen: Die Geschäfte prahlen mit Waren aus aller Welt und die Fensterfassaden glitzern, eine prächtiger als die andere.

Wie konnte ich nur vor vier Jahren so dumm sein und meine Chance auf ein normales Leben im Keim ersticken? Und wenn ich sie schon erstechen musste, warum habe ich Trottel nicht auf Mord plädiert? Dann wäre ich nun sicherlich noch für die nächsten 15 Jahre in meinem geregelten Hain Tegel oder meiner jämmerlichen Existenz wäre bereits die Henkersmahlzeit serviert worden.

Es tut mir Leid, dass ich Deine Zeit mit dem Lesen meines Gejammers und dem Armutszeugnis meines Lebens beanspruche. Der eigentliche Grund meines Schreibens ist keinesfalls Mitleid zu erhaschen.

Hör zu: während unserer gemeinsamen Zeit im Gefängnis hast Du häufig sehr stolz von Deinen Ringbrüdern4 erzählt. „Eine Vereinigung von Männern, die sich auf Lebzeiten die Treue geschworen haben“, sagtest Du.

Diese Aussage faszinierte mich und als Du mir auch noch erklärt hast, dass die Ringbrüder sich sogar um Deine Familie kümmern, während du deine Zeit in Tegel absitzt, war mir sofort klar, dass ich auch ein Teil eures Vereines „Geselligkeits-Club Immertreu 1919 e.V.“ 5 werden möchte. Mir ist es komplett gleich was für legalen oder kriminellen Aktivitäten Eure Vereinigung nachgeht! Ich bin verschwiegen, loyal und bereit meine gesamte Existenz dem Verein zu opfern.

Ich bitte Dich daher inständig bei Deinen Ringbrüdern ein gutes Wort für mich einzulegen, sodass ich Eurer Bruderschaft beitreten kann. Ich weiß, dass ich Dich hier um einen großen Gefallen bitte, aber erinnere Dich an den Gefängnisaufstand, bei dem ich die Prügel für Dich bezogen habe, als Du schon am Boden lagst. Ich bin auf deine Hilfe angewiesen, so wie Du damals auf die meine. Hilf mir einen Halt in dieser Hölle Berlin zu finden, sodass ich nicht als ein Ausgestoßener unter der Brücke kampieren muss!

In größter Hochachtung und in hoffnungsvoller Erwartung Deiner Antwort,

Franz Biberkopf

 

Anmerkungen:

1. geb. 12.01.1900; Vorsitzender des Ringvereins Immertreu; 1934 Verhaftung durch Gestapo: Verbleib Leibs unbekannt. Wirkte unter Fritz Lang als „Berater“ im Film „M – eine Stadt sucht einen Mörder“ mit (1931).

2. Fritz Haarmann und Peter Kürten waren bekannte Serienmörder in der Weimarer Zeit

3. Verballhornung der „Goldenen Zwanziger“ aus Sicht von Franz Biberkopf

4. Mitglieder der sogenannten Ringvereine

5. Bekanntester Ringverein Berlins in den 1920er Jahren ; Ringvereine waren kriminelle Vereine, welche sich durch Überfälle, Prostitution und Schmuggel finanzierten. Vergleichbar mit anderen Organisationen der organisierten Kriminalität wie der sizilianischen Mafia

(Felix Kästel)

Beate Weisbarth


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